Achtung Landesverweis

Die sogenannten Katalogdelikte

Der seit dem 01. Oktober 2016 in Kraft getretene Artikel 66a des Strafgesetzbuches (StGB) sieht bei bestimmten Delikten die obligatorische Landesverweisung (für 5 bis 15 Jahre) von verurteilten Ausländern vor, unabhängig von der Höhe der Strafe. Bei den im Gesetz genannten Delikten geht es insbesondere um Tötungsdelikte, schwere Körperverletzung, qualifizierte Vermögensdelikte, Raub, Sexualdelikte aber auch um Diebstahl in Verbindung mit Hausfriedensbruch (sog. Einbruch- und Einschleichdiebstähle). Wer als Ausländer zum Beispiel wegen Raubs eines Handys im Wert von CHF 300.-- verurteilt wird, dem droht die Ausweisung.

Verzicht auf Landesverweisung ist möglich

Interessenabwägung

Gemäss Artikel 66a Abs. 2 STGB kann das Gericht ausnahmsweise auf die Landesverweisung verzichten, wenn diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und wenn die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung die privaten Interessen am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen (sogenannte Interessenabwägung). Entgegen dem Gesetzeswortlaut muss das Gericht auf die Ausweisung verzichten, wenn die genannten Gründe vorliegen.

Entschuldbare Notwehr oder in entschuldbarem Notstand

Weiter schreibt Art. 66a Abs. 3 StGB vor, dass das Gericht dann auf die Landesverweisung verzichten kann, wenn die Tat in entschuldbarer Notwehr oder in entschuldbarem Notstand begangen wurde.

Härtefall

An den Härtefall und somit den Verzicht auf die Landesverweisung trotz Verurteilung ist insbesondere bei Ausländern zu denken, die in der Schweiz geboren oder aufgewachsen sind. Für die Anwendung der Härtefallklausel sind massgebend: die Integration, die Respektierung der Rechtsordnung, die Familienverhältnisse, die finanziellen Verhältnisse sowie der Wille zur Teilhabe am Wirtschaftsleben und zum Erwerb von Bildung, die Dauer der Anwesenheit in der Schweiz, der Gesundheitszustand und die Möglichkeiten der Wiedereingliederung des verurteilten Ausländers.

Beispiel: Im Urteil 6B_209/2018 ging das Bundesgericht von einem Härtefall aus. Es handelte sich um einen 1985 in der Schweiz geborenen Spanier, der im Jahr 2017 wegen Raubes sowie Verstössen gegen das Waffen- und Betäubungsmittelgesetz schuldig und zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt wurde. Dabei hob das Bundesgericht hervor, dass der Spanier immer in der Schweiz gelebt hatte und neben seiner Grossmutter und Mutter auch seine beiden vier und sieben Jahre alten Kinder, zu denen er eine enge Beziehung hat, in der Schweiz wohnen. Er spreche zwar spanisch, habe aber keine familiären oder sozialen Beziehungen zu Spanien.

Kein überwiegendes öffentliches Interesse an der Entfernung

Beruflich und finanziell war er zwar nicht mustergültig integriert und weist zwei Vorstrafen auf. Beim Raub hat er als Mittäter gehandelt, selber aber weder die Initiative ergriffen, noch Gewalt angewendet. Zudem ist er bisher fast durchgehend allein für seinen Lebensbedarf aufgekommen und die Aussichten auf eine Wiedereingliederung in der Schweiz nach der Strafverbüssung sind als realistisch einzuschätzen. Aus diesen Gründen besteht kein überwiegendes öffentliches Interesse an einer Entfernung.

Vgl. dazu den Fall 6B_587/2020, in dem das Bundesgericht die Ausweisung aufhebt. Der Beschwerdeführer wurde von Rechtsanwältin Tanja Schneeberger vertreten.

Zusammenfassung

Sofern mit der Verurteilung zu einem bestimmten Delikt die Landesverweisung droht, muss das Gericht zusammengefasst stets den Einzelfall prüfen und bei hier geborenen oder aufgewachsenen Ausländern besonders genau hinschauen. Dabei spielt vor allem die Integration des Ausländers in der Schweiz eine entscheidende Rolle. Die Katalogdelikte des Art. 66a StGB dürfen entgegen dem Wortlaut nicht ohne Einzelfallprüfung angewendet werden.