Raufhandel und Jugendstrafrecht

Ein gewalttägiges Zusammentreffen von zwei Gruppierungen Jugendlicher und junger Erwachsener, und einige Beteiligte erlitten leichtere Verletzungen. Wir orientieren über sich stellende Fragen und mögliche Folgen.

Mögliche Straftatbestände

Die nachfolgend erwähnten Strafmasse gelten für das Erwachsenenstrafrecht (ab 18 Jahren). Für das Jugendstrafrecht stehen Schutzmassnahmen im Vordergrund (s. die Ausführungen unten).

Aufgrund der Vorkommnisse dürften zunächst Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit in Frage komme.

Art. 133 Strafgesetzbuch (StGB): Raufhandel. Wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Nur wer an diesem Raufhandel ausschliesslich abwehrt oder die Streitenden schlichtet, ist nicht strafbar (Art. 133 Abs. 2 StGB). Hintergrund dieser Bestimmung ist, dass es bei Raufereien, wie man sich unschwer vorstellen kann, oftmals schwierig ist herauszufinden, wer konkret einer Person welche Verletzungen zugefügt hat. Mit anderen Worten: es ist schwierig, bestimmte Personen der konkreten Tat (Körperverletzung) zu überführen.

Art. 134 StGB: Angriff. Wer sich an einem Angriff auf einen oder mehrere Menschen beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Angegriffenen oder eines Dritten zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. Das ist die Ergänzung zum Raufhandel; der Artikel schliesst die Lücke, die Art. 133 offenlässt, weil Raufhandel nicht vorliegt, wenn eine Partei angreift, die andere aber passiv bleibt.

Art. 123 StGB: Einfache Körperverletzung ist mit Freiheitsstrafe bis 3 Jahren bedroht Je nach Schwere der Verletzung kommen auch die Straftatbestände der schweren Körperverletzung, Tätlichkeiten oder Gefährdung des Lebens in Frage. Das Strafmass kann bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe gehen.

Denkbar ist, dass Tatbestände der Nötigung (Art. 180 StGB) oder Freiheitsberaubung (Art. 183 StGB) vorliegen, wenn sich eine grosse Gruppe zusammenrottet um wenige Andere „zu stellen“.

Bei einer Schlägerei kann es verbal gehörig zu Sache gehen. In Frage kommen Ehrverletzungsdelikte wie Beschimpfung (Art. 177 StGB), oder Drohung (Art. 180 StGB).

Strafbar ist die öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit. Es ist heute ein leichtes, über Messenger-Gruppen oder Social Medias gewalttätige Zusammentreffen zu organisieren. Wenn jedenfalls zu Gewalt aufgefordert wurde, kann das strafbar sein. Öffentlich ist die Aufforderung, wenn sie von einem unbestimmten oder einem grösseren, durch persönliche Beziehungen nicht zusammenhängenden Personenkreis wahrgenommen werden kann. Eine grosse WhatsApp Gruppe wird dieses Kriterium erfüllen, zumal die Aufforderung geteilt werden kann und darum keine Kontrolle über die Verteilung der Nachrichten besteht.

Werden nach der Schlägerei von Teilnehmer:innen Fotos veröffentlicht, ist eine Verletzung des Geheim- oder Privatbereichs durch Aufnahmegeräte (Art. 179 quater StGB) denkbar. Wer aus Bosheit oder Mutwillen eine Fernmeldeanlage zur Beunruhigung oder Belästigung missbraucht, wird, auf Antrag, mit Busse bestraft (Art. 179 sexies StGB).

Mittäter, Anstifter, Gehilfen

Mehrere Täter werden als Mittäter gleich bestraft, wie wenn sie eine Tat alleine begangen hätten. Zu beachten ist, dass auch für Anstifter (Art. 24 StGB) das gleiche Strafmass gilt wie für den Täter. Für den Gehilfen gilt Art. 25 StGB: „Wer zu einem Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich Hilfe leistet, wird milder bestraft“. Der Aufruf in einer WhatsApp-Gruppe kann auch unter diesem Gesichtspunkt strafrechtliche Folgen haben. Die Frage ist, von wem wozu aufgefordert worden war. Da sind die Ermittlungsbehörden gefragt. Auch Personen, die einen weniger grossen Tatbeitrag geleistet haben, werden bestraft.

Jugendstrafrecht

Bei der Teilnahme Jugendlicher gilt für die Strafbarkeit folgendes: Ab 10 Jahren können Kinder strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Bis zum 18. Lebensjahr gilt für sie das Jugendstrafrecht (Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, JStG). Wegleitend für die Anwendung dieses Gesetzes sind der Schutz und die Erziehung der Jugendlichen. Ein Freiheitsentzug ist nur für eine schwere Tat ab 15 möglich; maximal für ein Jahr. Bei besonders schwerwiegenden Delikten können ab 16 Jahren ein Freiheitsentzug bis zu vier Jahre auferlegt werden.

Im Vordergrund des Jugendstrafrechts stehen die sogenannten Schutzmassnahmen, mit Regelungen betreffend Aufsicht, persönlicher Betreuung, ambulante Behandlungen, aber auch die Unterbringung bei Privatpersonen oder in Erziehungs- oder Behandlungseinrichtungen. Von einer Bestrafung kann abgesehen werden, u.a. wenn die Schuld der jugendlicher Person und die Tatfolgen gering sind, oder wenn diese durch die unmittelbaren Folgen ihrer Tat so schwer betroffen ist, dass eine Strafe unangemessen wäre. Die urteilende Behörde spricht die jugendliche Person schuldig und erteilt ihr einen Verweis, wenn dies voraussichtlich genügt, um sie von weiteren Straftaten abzuhalten. Dabei kann der jugendlichen Person zusätzlich eine Probezeit bis zu 2 Jahren, verbunden mit verbindlichen Weisungen, auferlegt werden. Möglich ist auch die Auferlegung persönlicher Leistungen zu Gunsten von sozialen Einrichtungen. Ab 15 Jahren können Bussen ausgesprochen werden. Für die Strafverfolgungsverjährung und die Vollstreckungsverjährung gelten im Jugendstrafrecht verkürzte Fristen. Ein Eintrag im Strafregister erfolgt, wenn ein Freiheitsentzug, die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung, die offene Unterbringung in einer Einrichtung oder bei Privatpersonen, oder eine ambulante Behandlung angeordnet werden.

Kosten

Die Jugendlichen können aufgrund ihrer Tat mit erheblichen Kosten konfrontiert sein: Schadenersatz, Genugtuung, Verfahrenskosten und weitere Untersuchungskosten. Auch die Eltern können haftbar gemacht werden, wenn sie ihre elterlichen Aufsichtspflichten gegenüber ihrem Kind verletzt haben.

Opfer

Die Opfer der Straftaten sind auf einen besonderen Schutz angewiesen. Sie können ihre Rechte nach dem Opferhilfegesetz in Anspruch nehmen. Dies ist besonders wichtig: Opfer sollen und können sich unterstützen lassen, sei es therapeutisch, medizinisch und juristisch. Die Opferhilfe kommt insbesondere für die ersten anfallenden Kosten („Soforthilfe“) auf.

Fazit

Jugendliche brauchen unseren Schutz und unsere Hilfe. Dazu gehören Erziehung, Verständnis, aber auch eine gewisse Strenge und Leitplanken. Denken wir daran, wenn wir uns über die Taten entrüsten! Gerade in der heutigen, für Jugendliche besonders schwierigen Zeiten (Covid!) sind diese auf unsere Unterstützung angewiesen. Die Eltern stehen in einer besonderen Verantwortung; die Gesellschaft als Ganzes und wir alle stehen jedoch ebenso in der Verantwortung für unsere Kinder und Jugendlichen.